100 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg

Am 11. November gibt es in Frankreich, Belgien und Kanada einen wichtigen Feiertag anlässlich des Waffenstillstandes nach dem Ersten Weltkrieg. Der „Tag der Erinnerung“ wird jedes Jahr traurig in Frankreich gefeiert. LOHRO möchte diesem Tag gedenken und zu Reflexion anregen.

 

 

Ich, Audrey, komme aus Strassburg, in Frankreich und werde während den 10 übrigen Monaten meines europäischen Freiwilligendienstes bei LOHRO mitmachen. Ich möchte heute auf den Ersten Weltkrieg, aber vor allem auf seine menschlichen Schicksale, aufmerksam machen. Dieser Beitrag gilt als meine persönliche Weise, den Waffenstillstand nach dem Ersten Weltkrieg zu würdigen.

Der Erste Weltkrieg wurde vom 28. Juli 1914 bis zum 11. November 1918 als „totaler Krieg“ geführt. 17 Millionen Menschen sind in seinen Wirren gestorben. Ein Grabenkrieg mit blutigen Kämpfen wie „La bataille de Verdun“ mit alleine 700 000 Opfern – Gefallenen oder Verletzte.

11. November, 11 Uhr: In jeder französischen Stadt oder Dorf versammeln sich der Gemeinderat und Bürger auf dem jeweiligen Friedhof. Eine Schweigeminute zum Gedenken an die französischen Soldaten, die „für ihr Vaterland“ gefallen sind, wird einlegt.  „La Marseillaise“ eine in meinen Augen blutige und kriegsführende Nationalhymne wird angestimmt. Unter dem Arc de Triomphe in Paris gedenkt der Staatschef am Grab des Unbekannten Soldaten durch die Entzündung eines symbolischen Feuers.
Neben dieser jährlichen patriotischen Zeremonie werden zudem noch verschiedene Veranstaltungen durchgeführt – so zum Beispiel Lesungen der Feldpostbriefe der Soldaten. Diese intimen Texte beschreiben den schrecklichen Alltag des Krieges und den emotionalen Zustand der Soldaten. Der Mensch wird deutlich in den Mittelpunkt dieses Erinnerungsprozesses gehoben. Die schriftlichen Spuren der Vergangenheit sind Quelle der Inspiration vieler Künstler. Sie erlauben uns, diesen Krieg abseits der Militärkapellen und der ofiziellen Reden zu betrachten.

Im Bereich der Musik hat die legendäre französische Rockband Indochine sich mit ihrem 11. Album „La République des Météors“ sehr direkt mit den Themen Trennung, Verlust, Liebe und Tod auseinandergesetzt.  Mit ihrer Musik, ihren Songtexten und ihrer Bühnenpräsenz möchten sie dem Publikum die Emotionen der Soldaten vermitteln. Ein typisches Beispiel wäre das Lied „Little Dolls“:

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2005 nahm sich ebenfalls der Fim die Kriegvirren zum Thema. Im Dezember lief der Film „Merry Christmas“ von Christian Carion in den Kinos. Darin waren die Verbrüderungen der deutschen, amerikanischen, britischen und französischen Soldaten an Weihnachten 1914 zu sehen.

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Auch wenn die Bedeutung dieser herausragenden historischen Ereignisse zu relativieren ist, wird die „romantische“ Darstellung dieser inoffiziellen Waffenpause und die Wichtigkeit betont – und mittels viel Symbolik in schönen Bildern festgehalten. Die Brüderlichkeit der Männer war für einen kurzen Moment stärker als alle nationalistischen Kämpfe. Der religiöse Universalismus verwandelte Soldaten wieder in Menschen.

Sehr persönlich und direkt hat sich auch der deutsche Veteran und Künstler Otto Dix in seinem Werk „Self-portrait as Mars“ als Gott des Krieges dargestellt. Das Portrait eines Mannes, der aus Feuer, Metall und Gewalt besteht und dessen Menschlichkeit sich kaum erahnen lässt. Es steht auch für die Absurdität dieses Krieges.

Die Anzahl der Gefallenen in Kombination mit den durch die Kunst vermittelten Emotionen beschreibt  ein für mich mächtiges und grausames Gefühl. Eine universelle Empfindung, welche grenzlos erscheint.

Ist es nicht eine dunkle Ironie, dass Kinder in Gedanken an ihre Vorfahren, die in dieser unmenschlichen Maschinerie des Krieges gelitten haben  „Vorwärts marschieren wir! Damit ein unreines Blut unsere Äcker tränkt!“ singen, während die französische Flagge gehisst wird?

Feiern wir dabei wirklich den Heroismus der Soldaten? Wer waren diese Soldaten, bevor sie in die Grabenkriege geschickt wurden? Bürger aber auch junge Männer mit Lebensplanung. Familienväter. Wer waren ihre Feinde? Ihr Spiegelbild, welches sie abschlachten mussten. Mit Hass wurden sie nicht geboren, Hass benötigten sie aber, um weiterzukämpfen, um zu überleben. Deutsche, Franzosen, Briten, Kanadier und alle anderen waren im gleichen furchtbaren Chaos unter Leichen.
Der Begriff „Helden, welche für ihr Vaterland gefallen sind“ gilt für mich als Trost für die Familien. Für den Staat war es eine Ausrede, weil sie keine andere Lösung gefunden haben, um ihre geopolitische Problemen anzugehen. Zum Beispiel war das  Territorium meiner Region, das Elsass, ein zentraler Streitpunkt zwischen Deutschland und Frankreich. Doch da wo „Helden“ sind, werden auch immer „Veräter“ sein. Für den Staat waren dies die Deserteure, die bestraft und manchmal sogar ermordet wurden. Sie sind die, welche diese Unmenschlichkeit nicht ertragen und unterstützen konnten. Sind sie ehrlos gefallen?

Brauchen wir diesen „Heroismus“ heute noch? Sollen die Franzosen noch weiterhin vorwärts marschieren? Dass in unserer heutigen Welt Freundschaften zwischen europäischen Ländern existieren, ist für mich die schönste Art, die Gefallenen der Würdigung.

Ein internationales Denkmal wurde dieses Jahr anlässlisch des 100-jährigen Jubiläums des Krieges eingeweiht. Der „Ring der Erinnerung„, der sich in Nordfrankreich befindet, trägt 580.000 Namen zusammen, die alphabetisch geordnet wurden. Ohne Nationalität, ohne Dienstgrad und ohne Religionszugehörigkeit.

Für mich ist es einhundert Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges in der Tat höchste Zeit, dass die Geschichte anders betrachtet wird. Man sollte nie vergessen und die heutige Entwicklung schätzen, statt den Patriotismus zu feiern.

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